Wenn man in Rio über Kampfsport spricht, dann denkt man zuerst an Brazilian Jiu Jitsu. Aber natürlich wird in der Stadt der Gegensätze auch geboxt. Anfang März war es dann soweit. Ich pflanzte meinen Hintern auf den beengten Sitz einer British Airways Maschine und bereitete mich mental auf die 9500km Flug mit unterirdischem Essen und unangnehmer Nähe zu merkwürdigen Menschen vor.

In Rio angekommen wurde ich (mit landesüblicher Verspätung) von meinem langjährigen Freund Virgilio am Flughafen eingesammelt. Der Verkehr ist schlimmer als in Köln nach leichtem Schneefall zur Rush Hour und ich bin auch bei meinem 5. Trip immer noch überrascht, nicht auf jeder Tour Zeuge eines tödlichen Unfalls zu werden. Die ersten Tage wurden standesgemäß mit gutem Essen, Strand und dem ein oder anderen Bier verbracht.

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Dennoch war schon vor Abflug der Plan, an einem Boxtraining teilzunehmen. Zudem stieg langsam mein Bewegungsdrang. Virgilio kümmerte sich um eine passende Connection und tatsächlich fand sich schnell ein entfernter Bekannter namens Pedro, der freundlich anbot, mich zu einem Training mitzunehmen. Das Gym befand sich allerdings in der Favela Cantagalo zwischen Copacabana und Ipanema, weshalb Virgilio Bedenken äusserte, diese Gegend mit dem Auto zu befahren oder gar auszusteigen. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Das Viertel lag im Berg, die selbstgebauten Behausungen waren diplomatisch formuliert sehr rudimetär und die Bewohner sichtbar skeptisch. Bergeweise Müll, Strassenköter und Hühner auf der Strasse unterstrichen den Flair zusätzlich. Wir mussten zu Fuß weiter- mit 90% Steigung den Berg hoch. Die Temperatur von 35°C wäre ja noch okay gewesen, aber die hohe Luftfeuchte machte mir als Europäer mehr zu schaffen, als mir lieb war. Pedro und mein Virgilio schwitzen immerhin auch- gut so.

Das Gym befand sich in eiem riesigen städtischen Komplex- stilecht im Keller. Es war geräumig und die Ausstattung zwar in die Jahre gekommen, aber gut. Seit 1988 existiert die ‘Academia de Boxe Nobre Arte’ unter der Leitung von Claudio Coelho.


Der Trainer für unsere Einheit war Mitte 50, topfit und ein Routinier. Virgilio wollte es sich auf einer Bank bequem machen, aber der Trainer bestand darauf, dass er mitmacht. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Mit meinen quasi nicht vorhandenen Kenntnissen der portugiesischen Sprache kam ich dennoch gut mit- beim Boxen bedarf es nicht zwangsläufig vieler Worte. Nach einem kurzen Warm Up und Schattenboxen gab es Gerätearbeit mit Schwerpunkt auf Meidbewegungen und Einhalten der Distanz. Es dauerte lediglich 10 Minuten, bis an meinem Trainingsoutfit kein Quadratzentimeter mehr trocken war. Nach Partnerübungen (ebenfalls Schwerpunkt Meidbewegungen und Dsitanz) ging es noch kurz in den Ring. Erst jetzt fiel mir auf, das bedingt durch die Lage im Berg trotz Kellergym der Ausblick durch die einzigen Fenster der absolute Wahnsinn ist.

Zum Cool Down gabs noch leichtes Schattenboxen, danach war das Training dann auch durch- ähnlich wie ich.

Alles in allem war die Einheit eine interessante Erfahrung und hat auch ein Stück weit inspiriert. Ich kann nur jedem ans Herz legen, der es mal nach Rio schafft, dieses Gym zu besuchen und den Ausblick aus dem Ring zu genießen.

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