Die Idee
Erstmal ein paar kurze Worte zu mir für die, die mich noch nicht kennen: Ich heiße Martin, habe 36 Jahre auf dem Buckel und komme aus Köln. Das Wort ‘schön’ verwende ich selten für die Betonblume am Rhein, aber ich mag diese Stadt. Sie ist etwas dreckig, ehrlich und geradeheraus. Ich habe sogar mal was anständiges gelernt (Diplom im Maschinenbau), habe mich aber nach 5 Jahren als Hemdträger entschieden, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen und einen Boxclub im Kölner Zentrum zu eröffnen. Wenn ihr das hier lest, seid ihr ja immerhin schonmal auf der entsprechenden Website. Jetzt aber genug über meine Person. Kommen wir zur Odyssee der vergangenen Tage:
Eigentlich wollte ich ja für ein paar Wochen nach Kalifornien. Daraus wurde aber leider nichts, da ich beruflich zu sehr eingespannt war. Da ich aber mal wieder den Kopf etwas freibekommen wollte, überlegte ich mir, dass ich eine größere Tour mit meinem Chopper starten könnte.
Bedingt durch die Tatsache, dass ich den Boxclub Guts & Glory betreibe, habe ich ohnehin keinen großen Bedarf an körperlicher Erholung, sondern brauche eher eine Auszeit für die graue Grütze hinter meiner Stirn. Fragt mich nicht wieso, aber irgendwie wollte ich den alten Eisenhaufen schon immer mal über die Alpen treiben. Nicht die leichte Route, sondern tatsächlich über die Pässe. Wieso? Weil es geht – deshalb.
Mein Zeitfenster waren zwölf Tage – zehn zum Fahren und zwei als Puffer. Entweder für Reperaturen oder eben als ruhiger Ausklang zu Hause. Von hier an ging es dann um die Umsetzung. Gute vier Wochen hatte ich noch, um kleinere Mängel an dem Hobel zu beheben und alles zu planen. Die letzten 20.000km hatte ich keine großen Probleme damit gehabt, wenn man mal von versagenden Verschleißteilen absieht. ‘Was soll da groß schief gehen?’ dachte ich mir. Ich sollte mich noch wundern – aber dazu später mehr.
Die Planung
Zuerst überlegte ich mir, wie denn meine Route aussehen könnte. Von Köln aus solte die erste Etappe primär daraus bestehen, Kilometer gutzumachen. Ich bin von Natur aus ungeduldig und habe derart viele Tagestouren um Köln herum absolviert, dass ich so schnell wie möglich aus Deutschland raus wollte.
Zügig in Richtung Alpen kommt man über die Schweiz. Der Rheinfall in Schaffhauen soll schön sein. Also ist die erste Etappe schnell geplant. Von Schaffhausen wollte ich dann in die Alpen. Also nicht durch die langweiligen Tunnel, sondern oben drüber. Ich erkundigte mich online und fand eine vielversprechende Top 10 der Alpenpässe eines Motorradmagazins. Da ich ohnehin keine Ahnung hatte, entschied ich mich für die den Süsten-, Grimsel- Furka- und Nufenpass, die sogar grob zu meiner Route passten. Da ich mir für die Alpen ein wenig Zeit lassen wollte, plante ich die nächste Etappe von Schaffhausen bis Wassen am Süstenpass, um von da aus morgens die restlichen Pässe abzuklappern und danach bis Genua runterzurauschen. Mittelmeer fand ich ohnehin eine gute Idee – immerhin war das Motto ’10 Days under the Sun’, und Sonne gibt’s da zur Genüge. Von Genua plante ich kleinere Etappen am Mittelmeer nach Sanremo, Saint Raphael und Marseille. Von Marseille aus sollte es auf einen Campingplatz in einem Naturpark westlich von Lyon gehen, von da nach Paris, Charleville und zurück nach Köln.
Normalerweise pappe ich mir vor Fahrtantritt immer einen Zettel mit Klebeband auf den Tank – alte Schule eben. Bei einer durchschnittlichen Etappenlänge von 350km am Tag mit viel Landstrassenanteil musste ich mich allerdings geschlagen geben. Ich lud mir die Navigationsapp ‘Scenic’ runter, bei der man unter anderem auch Wegpunkte setzen kann und Offline Karten downloaden (äusserst hilfreich!). So hatte ich später während der Fahrt mehr Zeit, die Landschaft zu genießen. Die wasserdichte Handyhalterung passte technisch prima an den Lenker, nur optisch war sie mir ein Dorn im Auge. Aber immerhin war das der größte Kompromiss, den ich eingehen sollte.
Nachdem die Route grob stand, ging es an die Überlegung, wo man denn nächtigen sollte. Zelt und Schafsack sind ein Must Have (schon alleine, um flexibel zu bleiben). Beides natürlich in Miniausführung – Platz ist Mangelware.
Hin und wieder in einem Hotel abzusteigen fand ich auch gut. Den Rest wollte ich mit der Couchsurfing App realisieren.
Um nicht komplett mit heruntergelassenen Hosen dazustehen, polierte ich die kommenden Wochen mein Schulfranzösisch ein wenig auf. Da ich gerade in Frankreich durch recht abgelegene Regionen fahren sollte, konnte das nicht schaden. Mit Englisch können da die meisten nicht viel anfangen.
Jetzt ging es an die Reparaturen. Auf der Checkliste standen neue Reifen, Bremsen, Kette, Getrieberitzel (24 Zähne für entspannteres Autobahnfahren), Kupplung und jede Menge Kleinkram. Long story short: Es war eine Punktlandung und hat mich zwischendurch ziemlich genervt. Ein Glück, dass ich bald Urlaub hatte. Besonderer Dank geht hier an W&W, die bestellte Teile zuverlässig am nächsten lieferten. Top Service!
Das Packen ist vor so einem Trip eine Sache für sich. Ich konnte auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen, überlegte mir aber, welches Werkzeug und welche Verschleißteile mich davor bewahren könnten, wegen einem schnell zu reparierenden Defekt irgendwo festzusitzen. Ich entschied mich für meinen kompletten Schlüsselsatz, den kompletten Werkzeugkoffer, jede Menge elektischen Kleinkram sowie Belt, LiMa Regler, Zündkontake- und Kondensator und vieles mehr. Und das war ja erst das Werkzeug! Ein minimales Hygienepaket und Klamotten mussten ja auch noch mit. Letzteres war garnicht so einfach – die Temperaturdifferenz zwischen Mittelmeer und Alpen variierte laut Vorhersage um teilweise >25°C. Also eintschied ich mich für meine Schott Perfecto, ein Flanellhemd, meine Jeansweste sowie meine 18Oz Jeans und die Redwing Boots. Noch etwas Unterwäsche und Reisewaschmitztel in der Tube (das hält den Umfang an Kleidung geringer). Dazu kamen noch 1.5l Spritflasche, 1l Trinkflasche und nattürlich der Helm.
Normalerweise fahre ich immer eine winzige Fiberglasschale mit rudimentärer Schaumstoffpolsterung. Da die Italiener aber nicht nur drakonische Strafen für das Fahren ohne ECE geprüften Helm verhängen, sondern auch das Motorrad für 60 Tage beschlagnahmen können, fiel meine Wahl auf den DMD 75. Für den hatte ich vor dem Trip auch noch einen Visor mit der Flex angepasst, damit ich auf längeren Autobahnetappen oder Regen stressfreier und ohne gerötete Bindehaut durchkomme.
Das Setup
Dieser ***Abschnitt ist für technisch unversierte Leser irrelevant*** Kommen wir nun zu meinem Eisenhaufen. Es handelt sich um einen Chopper – soviel kann man mit Sicherheit sagen. Das Teil besteht aus einem Late Shovel Motor mit SU Vergaser sowie ein 4-Gang Ratchet Top Getriebe verschraubt in einem Straightleg Rahmen mit originaler HD Springergabel. Der Rabbit Ear Lenker von Zombie Performance hat den Vorteil, dass man sich auf der Autobahn an die an der Sissybar befestigte Gepäckrolle lehnen kann und so quasi wie auf einer Couch fährt. Von Lenkkräften fange ich hier lieber gar nicht erst an, aber ich bin ja auch ein kräftiger Kerl. Als wäre das nicht schon bescheuert genug, kommt das Teil noch mit Suicide Clutch und Jockeyshifter daher und der alte Wessel Tank fasst sage und schreibe 7.5l. Vorne 21“ mit schlanker Pelle, hinten 16“ mit fetter Pelle. Blinker und Spiegel: Fehlanzeige. Riehmen, Kupplung und Kette laufen gut hör- und sichtbar ohne lästige Abdeckungen neben dem Hosenbein. Verzögert wird das Ding mit mechanischen Trommeln rundum, wobei die Thunfischdose am Vorderrad standesgemäß nur zur Zierde verbaut ist. Wenns nicht bescheuert ist, ist es auch kein Chopper – Basta.
Etappe 1
Etappe 1 sollte mich von Köln nach Schaffhausen führen. In Schaffhausen hatte mir via Couchsurfing eine nette Dame namens Alexa angeboten, auf ihrer Couch zu nächtigen. Ich hatte akribisch den Regenradar gecheckt und das Motorrad bereits am Vorabend bepackt und betankt.
Wenn ich freitags um 11:00 starten würde, käme ich unter Umständen ohne nass zu werden nach Schaffhausen. Falls es doch regnet, hatte ich mir einen überraschend günstigen Regenanzug von Miltec geschossen, der das Schlimmste abhalten sollte. Dann startetet ich endlich vom Kölner Zentrum aus.
Um 11:15 war ich bei strahlendem Sonnenschein mit Jeansweste und T-Shirt bekleidet auf der Autobahn in Köln unterwegs. Um 11:30 machte sich mein Motor mit einem unangenehm lauten, metallischem Hämmern bemerkbar. Vollbremsung auf den Seitenstreifen, Karre aus und nachgedacht. Ich das Ding in diesem Moment am liebsten lachend in den Rhein geschoben. Warum nicht bei einer der unzähligen, sinnlosen Ausritte und ausgerechnet jetzt? Nützt ja alles nichts – da muss der ADAC ran. Nachdem ich den bestellt hatte, rief ich bei Big Boys Cycles in Ehrenfeld an. Nadja sagte sofort zu, dass ich die Kiste dahin schleppen lassen kann, nachdem ich meine frustrierende Situation erklärt hatte. Der ADAC ließ sich Zeit. Zwei Stunden um genau zu sein. Ich saß im Begleitgrün der Autobahn, bekam langsam Sonnenbrand auf der Rübe, starrte auf meinen Haufen Schrott und fand mich langsam damit ab, dass meine Tour vorbei war, bevor sie überhaupt angefangen hatte.
Als dann endlich der Schlepper da war, ging es recht schnell. Aufladen, ab zu Big Boys Cycles, abladen. Nadja und Michel standen schon parat und meine Karre wurde um 14:00 vom Trailer sofort in die Werkstatt geschoben, wo Michel mit der Diagnose begann. Nicht, dass Michel und Nadja nichts besseres zu tun gehabt hätten (die Werkstatt stand voll), aber die beiden sind mit Herz und Seele Biker und haben meine missliche Lage sofort verstanden.
Nachdem der Fehler eingegrenzt war stand fest: es ist das Auslassventil meines hinteren Zylinders. Nachdem der Kopf demontiert war, kam uns schon eine gebrochene Ventilfeder entgegen. Wider aller Wahrscheinlichkeit nach war aber das Ventil samt Ventilsitz noch vollkommen intakt.
Als Michel dann noch grinsend mit einer passenden Feder um die Ecke kam, hätte ich mich vor Freude fast nass gemacht. 1000 Dank auch nochmal an dieser Stelle für den heldenhaften Einsatz! Das war wirklich schwer zu fassen. Um 17:30 war ich wieder auf der Autobahn nach Schaffhausen. Scheiß auf den Schwarzwald und den Rheinfall – jetzt werden Kilometer gefressen! Ich hatte Alexa auch schon vorgewarnt, dass es deutlich später werden würde. Natürlich regnete es jetzt. Teilweise auch heftig. Die armseelige Qualität meines Regenanzuges machte sich schnell bemerkbar, als sich durch das Flattern nach und nach die Kunststoffbeschichtung an der Hose vom Gewebe verabschiedete und ich langsam an den Unterschenkeln nass wurde. Der Nachteil an wasserdichten Boot ist, dass das Wasser, welches von oben hereinläuft, auch im Boot bleibt. Trotzdem hatte ich gute Laune – immerhin konnte ich fahren. Bei der Grenzüberquerung wollte es der Beamte genau wissen. Ob er wohl einen Blick auf mein Gepäck werfen dürfte wollte er wissen. ‘Dann muss ich das alles runternehmen und danach wieder befestigen’ entgegnete ich. ‘Dann ist das eben so’ war seine Antwort. Murrend befolgte ich seine Anweisungen und verlor weitere 20 Minuten. Es gäbe auch bessere Möglichkeiten, Schmuggelware über die Grenze zu bringen als mit einem uralten, lauten und auffälligen Motorrad… Um 1:30 kam ich endlich in Schaffhausen an, parkte mein Motorrad (hin- und wieder verdient es diese Bezeichnung) und traf Alexa. Vielen Dank nochmal für deine Engelsgeduld! Wir tranken Bier und quatschten noch 2 Stunden, aber dann musste ich dringend schlafen.
Etappe 2
Nachdem ich Alexa noch zum Frühstück eingeladen hatte,bepackte ich meinen Eisenhaufen und kaufte noch schnell die Vignette für 40€ bei der Post. Wo man die genau hinpappen sollte, konnte mir der Postbeamte aber auch nicht sagen. Also ab auf den Öltank damit.
Dann startete ich Richtung Wassen und freute mich unsäglich auf die Alpen. Beim ersten Tankstopp reinigte die Frontleuchte vom Schmutz der regnerischen Nacht, als diese ohne großen Widerstand abfiel. Der ‘Lampenhalter’ (gebogener Flachstahl mit zwei Bohrungen) war durchvibriert. So ein Mist! Ich Idiot hatte an fast alles gedacht, aber das hätte ich wirklich im Vorfeld checken können. Direkt neben der Tanke war ein Autohaus, an dem ich Samstag mittags noch einen Verkäufer antraf. Die Werkstatt war schon nicht mehr besetzt, verfügte aber ohnehin nur über Equipment zum an- und abschrauben von Neuteilen. Es gab keine Bohrmaschine, sondern nur einen Akkuschrauber. Ich verschwendete hier meine Zeit. Ich bedankte mich höflich, schraubte die Lampe quer an die Springergabel und fuhr die nächste Ausfahrt ab und zielstrebig auf einen Bauernhof mit alten Traktoren und großen Scheunen zu. Ein kläffender Köter begrüßte mich lautstark, bis der Hausherr angeschlurft kam. Ich fragte freundlich nach Hilfe, und er brabbelte etwas von seinem Sohn und einem ‘alten Töff’. Der Sohn kam, sah das Problem (das Schweizerdeutsch war so unverständlich, dass ich nur einzelne Worte verstand und daraus einen Sinn zusammenzusetzen versuchte) und schweißte mir den Halter routiniert, ja fast gelangweilt, zusammen. Geht ja auch schneller als neu bauen.
Danach zeigte er mir noch sein altes Töff – ein Moto Guzzi Gespann mit unterhaltsamer Lackierung.
Von hier aus lief es recht reibungsfrei durch wunderschöne Landschaftszüge und an Seen vorbei.
In einer langgezogenen Kurve im Tunnel bei Brunn 100km vor Wassen (hier hatte ich eine Herberge gebucht) passierte es dann: ein metallisches Kreischen und plötzliche Verzögerung des Hinterrades. Ich eierte auf den Seitenstreifen und schaute an meinem Eisenhaufen herunter. An der Getriebeausgangswelle hing ein Ring, der verdächtig nach Stützlager aussah. Ich wunderte mich – schließlich hatte ich die Kupplung gemacht und das Lager wirkte einwandfrei. Hilft ja nix. Ich zerlegte die Kupplung und nahm Korb und Belt runter.
Das Lager war hinüber und verfügte noch über drei Kugeln. In ziellosem Tatendrang versuchte ich, das Lager von der Welle abzubekommen, aber es steckte fest. Diesmal konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Der verdammte Eisenhaufen fürchtet sich vor den Alpen! Ich ließ meinen Blick schweifen und dachte mir, dass es tatsächlich unansehnlichere Orte für eine Panne gibt.
Plötzlich hörte ich ein lautes Bollern hinter mir. Fabriziert wurde es von einem Harley Evo Triebwerk. Mir fiel sofort der riesige Turbolader ins Auge – ein ziemlich wüster Umbau, aber fachmännisch hervorragend gemacht. Der Besitzer Stefan fährt dieses 170PS Monster seit 15 Jahren, war ebenfalls Ingenieur und mehr als hilfsbereit. Wir bekamen das Lager nicht runter und überlegten zusammen, was jetzt die beste Lösung wäre. Immerhin war es mittlerweile 20:00 an einem Samstag Abend. In der Schweiz haben die meisten Werkstätten übrigens Montags geschlossen – schöne Scheiße. Drei Tage in einem winzigen Örtchen festzustecken passte überhaupt nicht in meine stramme Routenplanung. Da fiel Stefan aber noch jemand ein, den er seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen hatte, der aber an alten Harleys schraubt. ‘Klingt schonmal gut’ dachte ich mir. Innerlich hoffte ich verzweifelt, während das Telefon an Stefans Ohr leise tutete. Er bekam seinen Bekannten ran, erklärte ihm die ganze Geschichte und übergab ihn an mich. Er ging während dem Telefonat in sein Lager und sagte, er hätte da noch ein Stützlager rumliegen. Ich traute meinen Ohren kaum. Meine Frage, ob ich mich jetzt zu ihm schleppen lassen kann, bejahte er trotz geschätzter Ankunftszeit um 22:00. Beim darauffolgenden Telefonat fragte die Dame vom ADAC fragte hörbar verwundert, ob ich nicht erst gestern mit diesem Fahrzeug abgeschleppt worden sei. Ich bejahte, warf aber ein, dass es diesmal nicht der Motor sondern das Getriebe und ich in der zwischenzeit ja auch schon bis in die Schweiz gefahren sei. Um Punkt 22:00 war ich in Beinwil mitten im Nirgendwo. Wie sich später herausstellte, heißt der gute Mann Giuliano Crimi und betreibt die Motorradwerkstatt Old School Motors, die direkt neben seinem Wohnhaus liegt.
Neben einer sehr feinen Auswahl an Autos stehen da jede Menge Harleys rum. Giuliano ist mir sofort sympathisch und ich bin sichtlich beeindruckt. Nachdem die Karre auf seiner Bühne steht geht es sofort los. Lager runter, neues drauf, Kupplungskorb, Scheiben, Druckplatte und Federn – fertig. Ich bedanke mich und fahre los Richtung Wassen zu meiner gebuchten Herberge. Der Herbergsvater hatte mir angeboten, dass ich ihn anrufe, wenn ich da bin. Mein Motorrad hatte allerdings andere Pläne. Keine 2km später: das gleiche Problem – nur diesmal hängt mein Kickerpedal runter. Ich rufe wieder an, schiebe die Karre zurück und wir fangen von vorne an: Kupplung samt Korb und Belt runter, aber das Lager ist okay. Nachdem der Kickerdeckel abmontiert ist (es ist übrigens eine Freude, Giuliano beim Arbeiten zuzusehen – jeder Handgriff sitzt) zeigt sich ein weiteres Problem: Die Kickerkupplung sitzt fest. Also wurde so lange rumgefummelt, bis die wieder freigängig ist, alles zusammengebaut und Getriebeöl nachgefüllt.
Das lief allerdings ungebremst wieder unten raus. Langsam bekomme ich den Eindruck, dass sich mein Eisenhaufen wirklich vor den Alpen drücken will. Ursache des Problems: losvibrierter Stehbolzen am Getriebe, den ich nach Verlassen seiner Werkstatt dann endgültig verloren habe. Kein Getriebeöl bedeutet Hitze, Hitze bedeutet Ausdehnung und das Resultat kennt ihr ja. Aber auch einen Reperaturstehbolzen hatte Giuliano rumfliegen. Ich bin wieder mal baff. Der hat einfach immer eine Lösung mehr, als mein Eisenhaufen Probleme generieren kann. So viel Glück kann man doch garnicht haben. Schmunzelnd deutet er in die Ecke seiner Werkstatt, wo hinter einem Eigenbaurahmen mit 270er (!) Hinterrad ein Ratchet Top Getriebe rumliegt. ‘Wenn das hier hin ist, hab ich noch eins’. Wie er später erzählt, war er früher die Hauptvertretung für AME in der Schweiz. Ich Glückspilz. Da ich seit dem Frühstück mit Alexa nichts mehr gegessen hatte, stellte er mir auch noch Brot, Energydrinks und Schweizer Schokolade hin. Als um 3:00 alles wieder zusammengebaut war, riet er mir, besser nicht todmüde bei Nacht in die Alpen zu fahren, sondern lieber in seinem Wohnzimmer zu schlafen und morgen früh in aller Ruhe zu starten.
Ich bin überwältigt von so viel Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft und nehme dankend an. Ohne Giuliano wäre meine Reise hier sicher zu Ende gewesen – 1000 Dank! Du bist wirklich unglaublich…
Etappe 3
Am nächsten Tag lerne ich noch Giulianos gesamte Familie kennen und starte nach einem Kaffee in Richtung Wassen. Allerdings änderte ich meine Navigation ein wenig ab, da Giulianos Sohn mir noch einen guten Routentip mit auf den Weg gegeben hat. Ich habe selten nettere Leute kennengelernt. Die Landschaft wurde mit jedem gefahrenen Kilometer bergiger und meine Vorfreude wuchs in gleichem Maße. Ich erwischte mich dabei, wie ich meinem Eisenhaufen gut zuredete – unser Vertrauensverhältnis hatte in den letzten zwei Tagen etwas gelitten. Und dann tauchten sie plötzlich vor mir auf: Die Alpen. Rein optisch sind die eher so der Endgegnertyp. Ich fing an mich klein zu fühlen und hatte gehörig Respekt. Wie zur Hölle war ich nur auf die Idee gekommen, ohne Bremsen und Federung drüber zu wollen. Und dann auch noch mit Handschaltung und Fußkupplng? Da fiel es mir wieder ein: Weil ich ein Idiot bin. Aber wie sagt man so schön? Bad decisions make great stories…
Beim Fahren der Pässe war ich entprechend konzentriert. Bald wich die anfängliche Unsicherheit der Freude am Kurven fahren. Das Getriebe schaltete besser als je zuvor und hin- und wieder setzte ich mit den Fußrasten auf. Bergauf machte es deutlich mehr Spaß, aber immerhin funktionierte bergab die Motorbremse ziemlich gut. Die hintere Trommel neigt nämlich schon bei geringer Hitzeentwicklung dazu, einen Großteil ihrer ohnehin schon bescheidenen Bremswirkung einzubüßen. Das Panorama war wirklich derart einmalig, dass Bilder dem nicht gerecht werden können. Fast schon ein bisschen unwirklich da oben.
Die Pässe, die ich herausgesucht hatte waren für mich eine gute Wahl. Der Strassenbelag war akzeptabel und die Landschaft äusserst abwechlungsreich. Auf dem Grimselpass war der Wind so stark, dass ich trotz querstehendem Lenker geradeaus fuhr. Apropos Lenker: langsam merkte ich meine Unterarme. Beim Herunterfahren des Nufenpasses wurde ich langsam etwas müde und meine Konzentration ließ nach. Das hatte sich aber sofort erledigt, als sich der Pilot einer Rennmaschine offensichtlich mit der Kurvengeschwindigkeit verschätzt hatte und plötzlich meine Fahrspur kreuzte. Ich hackte in meine Hinterradbremse und schlitterte nur haarscharf an ihm vorbei. Jetzt war ich zumindest wieder wach – gute Reaktionszeit. Als ich über die Pässe war und die Alpen hinter mir gelassen hatte, wurde es deutlich wärmer. Ich legte die Lederjacke ab und verstaute sie im Gepäcknetz hinter mir. Die sich daraus ergebende Veränderung meiner Sitzposition war eine Wohltat für mein Steißbein. Das war nämlich mittlerweile wundgescheuert und ich ziemlich im Eimer, aber glücklich. Beim nächsten Tankstop checkte ich die Route. Noch gute 250km bis Genua. Wenn ich jetzt durchfahre, bin ich wieder im Zeitplan. Also von der Autobahntanke ein Hotel gebucht, T-Shirt gegen Tanktop getauscht und ab dafür. Beim Erreichen der Italienische Grenze stieg meine Motivation gehörig. Als ich mich die Hügel nach Genua herunterschlängelte war ich bereits so müde, dass mich die Lichter der entgegenkommenden Autos mehr als sonst blendeten. Die Stadt empfing mich um 22:00 mit noch immer 27°C. Mein Motorrad parkte ich mit einem unguten Gefühl auf einem Motorradparkplatz vor dem Hotel und kettete es sicherheitshalber an ein Schild. Schwitzend checkte ich im Hotel Columbus ein, duschte und machte mich auf die Suche nach etwas zu Essen und Bier (nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge). Von Genua habe ich wie von jeder anderen Stadt in der ich war nur eine grobe Idee: Es ist dunkel, charmant schmutzig und es gibt ein Labyrinth aus winzigen Gassen mit zwielichtigen Gestalten.
Der Vollständigkeit halber muss man hier erwähnen, dass ich für die meisten Touristen denen ich an diesem Abend begegnete, wohl in die gleiche Kategorie fiel.
Ich aß noch einen überraschend guten Burger und trank einige Biere, bevor ich müde zum Hotel zurückschlurfte, um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten.
Von meinem Hotelzimmer aus konnte ich beruhigenderweise mein Motorrad sehen, was mich definitiv ruhiger schlafen ließ. In Genua war ich übrigens nicht das letzte Mal – sehr interessante Stadt!
Etappe 4
Ich wachte leicht zerknittert und verschwitzt im Hotel in Genua aufund ging zum Frühstück. Das gab es in der obersten Etage mit beeindruckendem Blick über die Stadt.
Hier lernte ich Andrea und seine Freundin kennen, die auf seiner neuen Bonneville eine Tour machten. Als ich ihm sagte, dass ich auch Motorrad fahre fragte er sofort, ob das meine Shovelhead vor der Türe ist. Wie er das nur geschlussfolgert hat… Nachndem Frühstück war ich bereits schweißgebadet, als ich mein Gepäck auf der Sissybar verzurrt hatte. Next Stop: Ospedaletti kurz hinter Sanremo. Hier hatte mir Weronika einen Couchsurfing Platz angeboten. Als ich den Lärm der Stadt hinter mir gelassen hatte schlängelte ich mich durch unzählige Touristendörfchen an der Küste und langgezogene Kurven in den Hügeln.
Die Etappe war nicht besonders lang und verlief reibungslos. Wie die Italiener Roller fahren ist wirklich wahnsinnig. Da aber alle Autofahrer daran gewöhnt sind, funktioniert es trotzdem scheinbar ohne große Kollateralschäden. So langsam färbt der Fahrstil sogar ein wenig auf mich ab. Der Weg zu Weronikas Haus war abenteuerlich steil und bestand aus einer Aneinanderreihung von Schlaglöchern. Wieder einmal stellte ich die Qualitäten meines Lenkers in Frage. Wie sich herausstellte betrieb Weronikas Mutter eine Bed & Breakfast Location in den Bergen von Ospedaletti mit atemberaubenden Meerblick und einem riesigen, üppig bepflanzten Garten.
Neben der quirligen Weronika war auch noch Marko da – einer ihrer Freunde aus Kroatien, mit dem ich mir ein Zimmer teilte. Ausserdem gab es da noch den Schäferhundmischling Pax, der sich durch Neugier und unterdurchschnittlichen Gehorsam auszeichnete. Wir hatten einen tollen Abend in einer Aussengastronomie an der Stranndpromenade und das erste Mal seit Fahrtantritt hatte ich das Gefühl von Urlaub.
Etappe 5
Morgens gab es erstmal Frühstück. Danach saßen wir noch etwas im Garten herum und alle machten sich über meinen Sonnenbrand lustig. Das war mir im Fahrtwind gestern garnicht so aufgefallen, aber jetzt war es nicht mehr zu leugnen. Von einer harten Kante der Jeansweste an den Schultern abgegrenzt nur auf der Oberseite der Arme bis exakt zur Linie, wo die Handschuhe beginnen. Ganz schön bescheuert. Marko gibt mir eine kleine Flasche Sunblocker mit Karabiner daran als Geschenk. Äusserst nützlich wie ich finde… Rückblickend hat mir das auf den Etappen am Mittelmeer wohl den Arsch gerettet. Die beiden schauen mir noch beim Beladen der Harley zu, da beide nicht glauben, dass ich all das Zeug darauf verstaut bekomme. Tue ich aber. Als ich den Eisenhaufen in Position schiebe, fällt mir ein nennenswerter Ölfleck auf. Es ist Motoröl, das sich am Rahmen gesammelt hat und jetzt abgetropft ist. Die Ursache ist schnell gefuden: Das Steigrohrzum hinteren Zylinder ist nicht mehr ganz dicht. Der Motorölstand ist aber noch okay – also muss ich bald welches kaufen und nachkippen. Der nächste Stop ist Saint Raphael in Frankreich. Auch hier habe ich eine Couch gefunden. Der junge Mann heißt Sacha und wirkt sehr sympathisch. Ich fahre also weiter an der Küste entlang, bis ich die französische Grenze erreiche. Hier gibt es diesmal keinerlei Probleme. Ich freue mich, mich endlich wieder ein wenig verständigen zu können – das war in Italien nämlich oft frustrierend. Aber bevor ich Saint Raphael erreiche, muss ich es noch durch die Nobelgegenden von Südfrankreich schaffen. Monaco, Cannes und Nizza liegen auf meinem Weg. So recht passe ich nicht in das Bild der Schönen und Reichen. Regelmäßig bleiben Menschen mit offenem Mund am Strassenrand stehen, denen sämtliche Gesichtszüge entgleisen. In Cagnes sur Mer halte ich an einer Pizzeria. Ein Kellner mit Unterarmtätowierung ist sofort mein Fan. Nach dem Essen erinnert mich er Ölfleck an mein Vorhaben, mineralisches 20W50 zu erwerben. Meine Google-Suche bringt erfreuliches hervor: keine 3km entfernt befindet sich eine Harley Davidson Niederlassung. Ist ja auch klar – die Schönen und Reichen schmücken sich eben gern mit solch exquisiten Zweirädern. Auch hier passe ich nicht so wirklich rein. Zwar tragen alle Jeans, Portmonnaieketten und Boots, aber wirklich dreckig ist keiner. Aber zumindest Englisch geht klar und 20W50 gibt’s auch. Also einen Schluck davon in den Öltank, eingepackt das Zeug und schnell weiter.
Vor Saint Raphael führt die Straße in die Berge und bietet ein wahnsinniges Panorama, rote, schroffe Felsen und langgezogene (sprich: harleytaugliche) Kurven.
Sacha will Maschinenbau studieren und betreibt ebenfalls ein Bed & Breakfast, dessen Zimmer er uneigennützig hin- und wieder an Couchsurfer abtritt. Mit von der Partie sind Caroline aus Norwegen und Luc aus Lyon.
Wir trinken Bier in der Stadt, essen asiatisch und klettern auf Bäume (hier schließt sich der Kreis mit dem Bier wieder). Ich falle ins Bett und schlafe 10 Stunden durch.
Etappe 6
Die 10 Stunden Schlaf in meinem riesigen Zimmer haben mich etwas verknautscht, aber ich fühle mich gut. Ich freue mich auf die nächste Etappe, denn es geht nach Marseille. Da wollte ich schon immer mal hin. Da ich keine Lust mehr auf den zähfließenden Verkehr in den Küstenstädtchen habe, ändere ich die Route spontan. Mein Weg führt mich durch die Midi-Pyrénées und ist wieder einmal landschafticht ein Genuss. Ich habe das Gefühl gut voranzukommen, da wenig Verkehr herrscht und die Straßen gut ausgebaut sind. Diesmal buche ich mir wieder von unterwegs online ein Hotel. Das ist ohnehin besser so – wenn da plötzlich ein nach Abgasen riechender, bärtiger, eingestaubter und bis unter die Hutkrempe tätowierter Kerl mit einem verdreckten Seesack steht, könnte ich mir vorstellen, dass öfters mal kein Zimmer mehr frei ist. Das Hotel ist ziemlich schick, aber knapp 3km vom Zentrum entfernt. Da habe ich bei der Buchung wohl nicht aufgepasst. Ich gönne mir ein Bad und danach sind meine Fingernägel das erste seit mal Tourbeginn fast sauber. Vom Hotel gehe ich zu Fuß in die Stadt, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Marseille ist etwas abgerockt und schmutzig, aber liebenswert. Ich fühle mich irgendwie heimisch.
Ich muss etwas essen und verlasse mich auf meine Intuition. Bislang habe ich noch nichts gesehen, das mir richtig vorkommt. Als gegen 22h viele Restaurants bereits schließen werde ich nervös und schmeiße meine Navigation an. Und siehe da: eine kleine Pizzeria mit herausragenden Bewertungen. Von aussen unscheinbar, von innen gemütlich. Da ich alleine bin werde ich zu einem Paar an den Tisch gesetzt, es ist aber nicht unangenehm. Ausserdem habe ich ja jetzt fast saubere Fingernägel… Es gibt nur zwei Sorten Pizza: Fromage oder Anchois (dann ohne Käse). Ich nehme ersteres und es ist die beste Pizza, an die ich mich erinnern kann. Volltreffer.
Wenn ihr mal in Marseille seid: Die Pizzeria Chez Etienne in der Rue Lorette ist der Knaller. Nachdem seine Freundin zum Rauchen vor die Tür gegangen ist, spricht mich der Kerl an meinem Tisch zwanglos an. Wir reden halb französisch halb englisch und er fragt, was ich noch so vorhabe. ‘Quelque chose avec Biere’ antworte ich. Er wird ganz nervös und sagt, ich müsse unbedingt ins White Rabbit. Alle da wären tätowiert, hätten Bärte und würden Motorrad fahren. Da das tatsächlich gut klang versuchte ich mein Glück und landete den nächsten Volltreffer. Gutes Bier, gute Leute, gute Musik.
Der Inhaber hat vor kurzem seine Ironhead zu Schrott gefahren und ich brachte mein Bedauern zum Ausdruck. Einer der Jungs sagte, ich könne mir auf dem Weg nach Paris das Viaduct de Millau ansehen. Es war wohl mal im Guiness Buch der Rekorde, bevor die Asiaten ein noch höheres und längeres Viaduct gebaut haben. Das klang interessant – vor allem, weil ich bei der Route zum Campingplatz westlich von Lyon flexibel war. Ein anderer Campingplatz tut es genauso. Zurück im Hotel habe ich Tante Google bemüht und entschieden, dort hin zu fahren. Dann war es Zeit für eine Mütze voll Schlaf.
Etappe 7
Nach einem enttäschenden Frühstück im Hotel packte ich meinen Kram zusammen und war irgendwie übermotiviert. Ich plante eine Route von mehr als 750km (allerdings über gut ausgebaute Nationalstrassen und Autobahnen) zu einem sehr idyllischen Campingplatz in Pierrefitte-sur-Sauldre, damit ich auf der nächsten Etappe früher in Paris ankäme. Schon unterwegs wurde mir bewusst, dass ich etwas zu hoch ins Regal gegriffen hatte – meine Handgelenke, mein Rücken und mein Hintern schmerzten und zudem machte mein rechtes Knie jetzt auch etwas Probleme. Der SU Vergaser ist ja cool und funktioniert 1A, aber er zwingt mein rechtes Bein auch in einen leichten Bogen, um die Fussraste zu erreichen. Und so können eben nicht nur Lampenhalter abvibrieren, sondern auch Kniee. Das Viaduct von Millau war wirklich beeindruckend – genauso wie der Seitenwind auf der rund 2.5km langen und 270m hohen Brücke.
Während ich mittlerweile durch die Auvergne bollerte wuchsen meine Zweifel, dass ich diese Etappe schaffen könnte – zumal es mittlerweile empfindlich kalt wurde. Die Auvergne mit ihren Wäldern, grünen Hügeln, Chateaus und mittelalterlichen Städtchen auf Hügeln hat mich rückblickend am meisten fasziniert.
Und dann, mitten im Nirgendwo der Auvergne bei Mirefleurs passierte es dann: Mit einem ‘Patsch’ war die Kiste aus. Ich rollte aus, stieg ab und versuchte intuitiv zu kicken. Nichts. Dann fiel mir auf, dass auch das Rücklicht nicht brannte. Durchvibriert? Ich checkte die Frontleuchte und mir erschloss sich das Problem: Die hing mitsamt des erneut abvibrierten Lampenhalters an ihrem Kabel und hatte offensichtlich einen Kurzschluss verursacht. Zur Ehrenrettung des Schweizer Bauern: Die von ihm geschweißte Stelle war noch Tip Top. Also Zündung aus, Sattel hoch, Torpedosicherung gewechselt (ich hatte sogar noch eine in der Brusttasche meiner Weste) und Zündung ohne Licht an. Einmal gekickt, schon lief die Kiste. Aber jetzt dämmerte es schon – da ist eine Fehlersuche suboptimal und Fahren ohne Licht sogar noch suboptimaler. Ich wurde etwas hektisch. Hotels in der Gegend? Fehlanzeige. Handyempfang: sporadisch. Ich bog von der Hauptstrasse ab, fuhr durch ein uraltes Dörfchen und folgte einem Schotterweg in ein Waldstück in der Hoffnung, einen geeigneten Platz für mein Notcamp zu finden. Der Schotterweg wurde zu einem lehmigen Waldweg, desen Spurrillen mich mit den Fußrasten aufsetzen ließen. Wie ich die Kiste da mit Fußkupplung und dem Lenker hochbekommen habe, kann ich heute selber nicht mehr sagen.
Ich baute das Minizelt so schnell auf wie ich konnte und sammelte Steine, Holz und etwas vertrocknetes Gras für ein Feuer. Gar nicht so leicht, denn es hatte offensichtlich früher an diesem Tag hier geregnet. Kurz bevor das letzte Licht weg war, war ich mit allem fertig. Nur das vertrocknete Gras hatte etwas zu viel Feuchtigkeit, um die dünnen Äste darüber zu entflammen. In dem Feuerzeug, das ich eigentlich nur für den Schrumpfschlauch in meinem Elektrikset mitgenommen hatte, war nicht mehr allzuviel Gas. Ohne Licht und vor allem Wärme in einem feuchten Waldstück ist jetzt auch nicht so geil… da fiel mir plötzlich die Spritflasche ein. Na klar! Ein Schluck Super und ich hatte mein Lagerfeuer. So saß ich dann mitten im Nirgendwo am Lagerfeuer und las Bukowski. Die drei Snickers aus meinem Seesack bildeten dann mein Abendessen. Immerhin besser als nichts. Rückblickend betrachtet war das eine der coolsten Übernachtungen der Tour. Gut geschlafen habe ich auch.
Etappe 8
Morgens wurde ich von einem lauten, stampfenden Geräusch geweckt. Es waren zwei ältere Herren auf einem noch älteren Traktor. Ich kroch aus meinem Zelt und fragte in holperigem Französisch, ob es in der Nähe eine Werkstatt gibt und zeigte ihnen den abvibrierten Lampenhalter. Sie erklärten mir freundlich mit Händen und Füßen, wo ich die Werkstatt finde und verschwanden mit ihrem stampfenden Traktor im Wald. Jetzt hieß es erstmal das Camp abbauen, den Fehler beheben (war tatsächlich nur ein durchgescheuertes Kabel, was ich in der Dämmerung am Vorabend übersehen hatte) und dann auf zur Werkstatt. Meine Harley sah aus wie nach einer Rallye, aber schließlich ging es bei dem Trip nicht darum, Schönheitswettbewerbe zu gewinnen. Das galt sowohl für das Motorrad, als auch für den Fahrer.
Die Werkstatt war eine unordentliche Ansammlung von Werkzeug und Schrottfahrzeugen, die von einem gut gelaunten, dicken Franzosen betrieben wurde. Nachdem ich ihm mein Problem erklärt hatte und er damit fertig war, mein Motorrad zu bestaunen, schweißte er mir den Halter mit gröbsten Nähten zusammen. Auf meine Frage was das kostet entgegnete er ‘Mille Euros’, lachte und bot mir einen Kaffee an. Während ich diesen trank verglich er mein Motorrad mit einer alten, zickigen Frau. Wenn er nur gewusst hätte, wie Recht er damit hatte… Als ich sagte, ich müsse weiter wollte er wissen wohin. Ich sagte ‘Paris’, worauf er nur achselzuckend mit einem etwas abschätzigen Blick auf meine Motorad mit ‘peut-etre’ entgegnete. Die Fahrt nach Paris verlief reiungslos, und obwohl ich überwiegend Autobahn und Nationalstrasse fuhr, war es landschaftlich toll. Ab jetzt kontrollierte ich übrigens bei jedem Tankstopp den Lampenhalter. Paris hat mich wirklich beeindruckt. Eine wunderschöne und monumentale Stadt.
Wen ich mich manchmal über die bescheuerten Autofahrer in Köln aufgeregt habe, hat das bescheuert Fahren hier eine völlig neue Dimension bekommen. Von dem gesamten Trip waren die paar wenigen Kilometer in Paris wohl die am gefährlichsten. Mein Hotel (wieder von unterwegs gebucht) lag direkt am Arc de Triumph und war wirklich schön. Nach den Entbehrungen der letzten Nacht zelebrierte ich die Benutzung des Badezimmers regelrecht. Ich lief zu Fuß fast zwei Stunden durch die Stadt und nachdem ich etwas gegessen hatte, landete ich im ‘La Feline’ – einer Kneipe nach meinem Geschmack. Motorräder vor der Tür, gezapftes Bier und Rock. Ich bin ja einiges aus Köln gewohnt, aber in diesen Laden ging ein Kerl mit einer Palette unterm Arm und einem Kleinwüchsigem in Motorradlederjacke rein und kam wieder heraus in Unterwäsche, aus der aber sein Glied mit einer eingeklemmten, brennenden Zigarette hing. Hin und wieder zog er an der Zigarette, um die dann wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückzustecken. Noch mehr als dieser Kerl hat mich allerdings erstaunt, dass niemand sonst verwundert darauf reagiert hat. Naja… ist vielleicht so eine französische Eigenart. Auf dem Rückweg nahm ich noch einen Absacker im ‘Saint Saveur’, einer Kneipe um die Ecke mit ähnlichem Konzept. Zurück im Hotel genoss ich es, in einem weichen Bett zu schlafen, denn der Boden in der Nacht zuvor war etwas steinig.
Etappe 9